Professor Dr. Andreas Brandenberg ist Leiter des Instituts für Kommunikation und Marketing an der Hochschule Luzern. Der Experte für Big Data Analytics, CRM und Kundenzentrierung gehört außerdem zum Gründungsteam des Customer Centricity Scores, der als KPI für die Kundenzentrierung jedem interessierten Unternehmen zur Verfügung steht.
Kundenzentrierung ist kein vorübergehender Management-Hype. Sie ist die Antwort auf die technologiebedingte Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Anbietern und Nachfragern. Konsumentinnen und Konsumenten verfügen heute über eine Nachfragemacht wie nie zuvor. Soziale Medien, Foren, Empfehlungsplattformen, Vergleichsdienste und weitere Angebote machen sie zu Partnern auf Augenhöhe: „The deer has now a gun!“ drückt dies treffend aus. Kundenzentrierung ist auch die Antwort auf den Hyperwettbewerb in vielen Märkten. Unternehmen agieren in einem Umfeld, in dem sich Innovationen jagen, Marktkonstellationen dauernd ändern und Wettbewerbsvorteile rasch verschwinden. Technologien, Produkte und Geschäftsmodelle kommen und gehen. Nur eines ändert sich nicht: Erfolgreiche Geschäftsmodelle beruhen auf der Fähigkeit, Kundenbeziehungen aufzubauen und langfristig zu erhalten.
Häufig wird Kundenzentrierung als „konsequente Ausrichtung des Unternehmens auf die Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Kunden“ oder ähnlich verstanden. Dies ist sicher richtig, greift aber zu kurz. Kundenzentrierung hat nicht nur die Wünsche und Bedürfnisse von Kunden im Auge, sondern die Kundenbeziehung an sich. Kundenbeziehungen bilden das Gravitationszentrum in einem Wettbewerbsumfeld, in dem sich Unternehmen ständig neu erfinden. Die Beziehung zu Kunden ist – wie viele erfolgreiche Plattformunternehmen zeigen – häufig wichtiger als das Produkt selbst. Bernhard Cova hat dies auf den Punkt gebracht: „The Link is more important than the thing!“ Unternehmen, die sich an Produkte und Infrastrukturen klammern, werden früher oder später von Konkurrenten, die Kundenbeziehungen zum Kern ihres Geschäftsmodells machen, überholt.
Würden Sie der Aussage zustimmen, dass eine Differenzierung vom Wettbewerb heute stärker denn je über das Kundenerlebnis erfolgt? Falls ja, was bedeutet das für Unternehmen? Und wie wird sich die Relevanz des Faktors Kundenerlebnis in den kommenden Jahren verändern?
Die Differenzierung über Produkte oder Dienstleistungen wird immer schwieriger. Gerade in reifen Märkten lassen sich kaum noch Unterschiede in der Qualität der Angebote ausmachen. Große Unterschiede gibt es jedoch bei der Gestaltung des Kundenerlebnisses. Die Spreu vom Weizen trennt sich etwa beim personalisierten Kundendialog. Es ist hohe Kunst, mit Tausenden von Kunden einen relevanten, vertrauensvollen Dialog zu führen. Dies benötigt Einsichten in die Wünsche, Bedürfnisse und Lebensumstände der einzelnen Kunden. Die Grundlage dafür bilden personenbezogene Daten. Kundenzentrierung ist ohne Zugang zu personenbezogenen Daten und ohne Fähigkeit, aus diesen Daten Einsichten über Kunden zu gewinnen, nicht möglich. Beides wird mit fortschreitender Digitalisierung der Kundenbeziehungen noch stark an Bedeutung gewinnen.
Zu einem perfekt gestalteten Kundenerlebnis gehören aber nicht nur analytische Kompetenzen, optimal gestaltete Kundenschnittstellen und ähnliches, sondern auch soziale Kompetenzen. Nichts bindet Kunden stärker als engagiertes, unbürokratisches und kulantes Verhalten von Unternehmen, wenn es mal brennt und Hilfestellung notwendig ist. „Den wahren Freund erkennt man in der Not“, meinte Marcus Tullius Cicero vor über zweitausend Jahren. Wenn man soziale Medien, Foren und Empfehlungsplattformen durchstöbert, wird man rasch entdecken, dass der Tatbeweis in Momenten der Wahrheit der wahrscheinlich glaubwürdigste Beleg für Kundenzentrierung ist. Das bestätigen ja auch die aktuellen Ergebnisse der Befragung von Privat- und Geschäftskunden, die Salesforce zusammen mit YouGov ermittelt hat.
Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass Unternehmen die persönlichen Bedürfnisse, Präferenzen, die Historie und Absichten ihrer Kunden erkennen, respektieren und entsprechend handeln? Inwiefern kann das zum Geschäftserfolg beitragen?
Die Personalisierung und Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen sind zentrale Wertschöpfungsstrategien. Die Fähigkeit von Unternehmen, den Kunden das passende Angebot zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu liefern, entwickelt sich zum geschäftskritischen Faktor. Zahlreiche Studien belegen, dass personalisierte Produkte und Dienstleistungen die Zahlungsbereitschaft von Kunden markant steigern. Man spricht von Preisprämien von 30 Prozent und mehr.
In der digitalen Ökonomie sind Kunden zunächst einmal aber nur IP-Adressen. Und sie bleiben das auch, wenn IP-Adressen nicht mit personenbezogenen Profildaten angereichert werden. Der Datenhunger von Unternehmen ist eine direkte Folge der fortschreitenden Digitalisierung der Kundenbeziehungen. Die entscheidende Frage wird in Zukunft sein, wie Unternehmen diesen Datenhunger stillen. Das Ausspionieren und heimliche Tracking von Kunden ist keine nachhaltige Lösung. Wir werden in Zukunft (hoffentlich) viel mehr Geschäftsmodelle sehen, in denen Kunden vertrauenswürdigen Unternehmen freiwillig persönliche Daten, etwa zu Mobilität, Konsum oder Gesundheit, zur Verfügung stellen und dafür im Gegenzug maßgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen erhalten. Kundenzentrierung ist nur dann eine nachhaltige Strategie, wenn sie auf Transparenz, Fairness und Respekt gegenüber dem Kunden beruht.
Was sollten Unternehmen bei der Entwicklung einer entsprechenden Strategie beachten?
Kundenzentrierung ist ein zentrales strategisches Thema. Dies wird gerne vergessen, wenn man das Thema wieder einmal an die Marketingabteilung delegiert. Kundenzentrierung ist kein Thema, um das sich nur die Organisationseinheiten und Mitarbeitenden am Kunden-Frontend kümmern sollten. Und Kundenzentrierung lässt sich nur beschränkt mit den üblichen Messgrößen für Kundenzufriedenheit oder Kundenloyalität erfassen. Kundenzentrierung ist eine Strategie, die sich tief ins Geschäftsmodell, in die Unternehmenskultur, Organisationsstruktur und Kundenschnittstellen eingraben muss. Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die zeigen, welchen Reifegrad eine Organisation in Bezug auf Kundenzentrierung erreicht hat. Wie immer man Kundenzentrierung definiert – entscheidend ist, dass Kundenzentrierung bei allen Mitarbeitenden im Unternehmen ankommt, nicht nur in den Führungsetagen oder am Kunden-Frontend.
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