Wer wirklich überragenden Kundenservice bieten möchte, muss ein großes, ambitioniertes Ziel festlegen und erreichen – den sogenannten Moonshot, der Mitarbeiter:innen und Kund:innen gleichermaßen begeistert.
Jeweils am Jahresende legen Serviceteamleiter:innen neue KPIs fest, die in den nächsten zwölf Monaten verbessert werden sollen. Schrittweise Verbesserungen der Callcenter-Metriken und die Steigerung des Net Promoter Score (NPS) sind zwar sinnvolle Ziele, werden die Customer Experience aber nicht grundlegend verändern. Wer wirklich überragenden Kundenservice bieten möchte, muss ein großes, ambitioniertes Ziel festlegen und erreichen – den sogenannten Moonshot, der Mitarbeiter:innen und Kund:innen gleichermaßen begeistert.
Eine gute Möglichkeit, die Ziele Ihres Teams festzulegen, besteht darin, Ihre NPS-Werte, Ihre KPIs und Ihre PowerPoint-Präsentationen beiseitezulegen und sich auf die Kundschaft zu konzentrieren. Was müsste geschehen, damit alle unsere Kund:innen absolut von unserer Customer Experience begeistert sind? Die Antwort ist der Ausgangspunkt für Ihren Moonshot, Ihr großes Ziel.
So könnten Sie etwa Ihrer Kundschaft Dinge bieten, die sie gar nicht erwartet. Ein Beispiel wäre ein Händler für Heimtierbedarf, der seinen Kund:innen Beileidskarten schickt, wenn er erfährt, dass ein Haustier gestorben ist. Wer würde das von einem Onlinehändler für Heimtierbedarf erwarten? Niemand! Und genau deshalb teilen die Menschen in sozialen Netzwerken diese Beileidsbekundungen und das Gefühl, von dem Händler gesehen und umsorgt zu werden.
Oder denken Sie daran, wie in der ersten Phase der Corona-Pandemie der Begriff „beispiellose Unsicherheit“ so oft in nichtssagenden Unternehmensbotschaften wiederholt wurde, dass er zu einem Klischee wurde. Wenn man immer wieder die gleichen, allgemein gehaltenen Antworten von Unternehmen erhält, denkt man: „Dieses Unternehmen sieht durch mich hindurch und nimmt mich nicht als Person wahr.“ So schafft man keinen erstklassigen Service und erreicht keine Kundentreue.
Wie Sie Ihr Serviceteam auf das Moonshot-Denken einstellen
Divergentes Denken ist eines der wichtigsten Instrumente, das Führungskräfte zur Einstimmung auf das Moonshot-Denken nutzen. Es handelt sich um eine Technik zur kreativen Ideenfindung, bei der zahlreiche mögliche Lösungen für ein Problem untersucht werden. In Callcentern und in jedem erfolgreichen Unternehmen liegt der Fokus oft darauf, Dinge besser und schneller zu machen. Es geht immer wieder darum, das zu verbessern, was gestern war, anstatt neue Ideen zu entwickeln, die nicht nur die Zukunft Ihres Unternehmens, sondern auch die Ihrer Branche bestimmen könnten.
Wenn Sie sich mitten in der Jahresplanung befinden – bei der vor allem die Prognose erreichbarer Ziele und die Festlegung von Service-Level-Agreements für das kommende Jahr im Mittelpunkt stehen – ist es schwierig, sich die Zeit zu nehmen, um divergentes Denken auf die Tagesordnung zu setzen. Wir alle haben schon Nachmittage in Brainstorming-Sitzungen verbracht, die uns wie reine Zeitverschwendung vorkamen. Deshalb sollten Sie sich im Klaren darüber sein, dass divergentes Denken kein Synonym für Brainstorming ist.
Eine Studie, in der Forschungsarbeiten zum Thema Brainstorming analysiert wurden, kam zu dem Schluss, dass beim Brainstorming nicht mehr kreative Ideen entwickelt werden als im Alleingang. Warum ist das so? Häufig liegt es daran, dass die Entwicklung und Bewertung von Ideen gleichzeitig stattfinden. So werden viele Ideen sofort wieder verworfen. Typische Reaktionen auf Ideen sind: „Nein, das können wir nicht machen“, „Dafür reicht unser Budget nicht aus“ oder „Das wird der CEO niemals genehmigen“. Die Entwicklung von Ideen hört also auf, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Die Ideenentwicklung von der Ideenbewertung trennen
Beim Moonshot-Denken ist es wichtig, die Entwicklung einer Idee von ihrer Bewertung zu trennen – also zwischen divergentem Denken und konvergentem Denken zu unterscheiden. Es empfiehlt sich außerdem, Ihren Kolleg:innen bereits vorab das zu lösende Problem vorzustellen und sie zu bitten, vor dem eigentlichen Meeting zum divergenten Denken einige erste Ideen einzureichen. Sobald eine Idee mit einem Namen verbunden ist, wird sie persönlich, und das kann interne Machtkämpfe auslösen. Darum ist es wichtig, dass diese Anfangsphase anonym durchgeführt wird.
Sie haben jetzt jede Menge Ideen, die Sie im Meeting zum divergenten Denken austauschen können und die als Basis für den weiteren Verlauf dienen. Die Ideen sollten nicht bewertet werden. Das Ziel der Zusammenarbeit und Diskussion besteht darin, weitere Ideen zu entwickeln, die auf den anonym eingereichten Ideen aufbauen. Auf diese Weise schaffen Sie ein Umfeld psychologischer Sicherheit, das für diese Art der Zusammenarbeit unerlässlich ist.
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Das System neu aufrollen
Stellen Sie sich vor, Sie wären mit im Raum gewesen, als jemand bei Amazon auf die Idee kam, Pakete mithilfe von Drohnen auszuliefern. Als die Idee in den Medien auftauchte, wurde sie zunächst verspottet. Sie klang sehr unrealistisch. Das würde doch niemals funktionieren, oder? Mittlerweile testet Amazon autonome Lieferungen mit seinem sechsrädrigen Roboter namens „Scout“. Und auch FedEx arbeitet daran, Drohnen einzusetzen.
Doch was, wenn das divergente Denken in Ihrem Meeting Ideen hervorbringt, die eher in Richtung Brieftauben statt Roboterhunde gehen? Oder wenn Leute, deren Ideen schon so oft niedergemacht wurden, nicht bereit sind, sich mit einer großen Idee aus der Deckung zu wagen? Eine Möglichkeit wäre es z. B., die Leute aus ihrem Trott zu holen, indem man sie fragt, wie die Lösung für das Problem in einem Science-Fiction-Roman aussehen würde.
Der Autor und Werbefachmann Alex Osborn schrieb einmal: „Es ist einfacher, eine wilde Idee zu zähmen, als eine neue zu entwickeln.“ Deshalb ist es so wichtig, „wilde“ Ideen einzubringen – nicht unbedingt, weil sie weiterverfolgt werden, sondern weil sie häufig einen wunderbaren Ausgangspunkt für weitere Ideen darstellen. Sie lassen andere Ideen in einer Art und Weise aufblühen und wachsen, die nicht möglich wäre, wenn die wilde Idee bereits im Keim erstickt worden wäre.
Experimentieren, lernen und überarbeiten
Bevor Sie eine Idee verwerfen oder mit vollem Einsatz umsetzen, sollten Sie einige der vielversprechenden Ideen des Teams aufgreifen und Experimente anstellen. Wenn Sie wissenschaftlich denken und ein Experiment in kleinem Maßstab durchführen, können Sie reale Daten erhalten, um die Umsetzbarkeit der Idee auszuloten. Sie umgehen dabei das Risiko, die Idee gleich für Ihren gesamten Kundenstamm umzusetzen.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, die Idee ist, eine neue Bestätigungs-E-Mail zu benutzen. Anstatt sie für unseren gesamten Kundenstamm einzuführen, werden wir sie an einer kleinen Untergruppe unserer Kund:innen ausprobieren. Die Vorteile:
- Wenn die Idee überhaupt nicht funktioniert, können Sie den Schaden begrenzen.
- Wenn die Idee nicht so gut funktioniert wie erwartet, können Sie das Projekt mithilfe von Daten aus dem Kundenfeedback wiederholen und verbessern.
Starwood Hotels hat beispielsweise seine Marke W Hotels schon oft als Innovationslabor für neue Ideen wie unverkennbare Düfte oder eine heimelige Atmosphäre in der Hotellobby genutzt. Wenn die Ideen bei den kleineren Pilotprojekten in den W Hotels funktionierten, weitete das Unternehmen sie auf die anderen Hotels in seinem Portfolio aus. Funktionierten die Ideen nicht, war der Schaden doch immerhin begrenzt.
Den Weg zu einem Plan zurückverfolgen
Eine große Idee ohne einen entsprechenden Plan ist nur ein Hirngespinst. Idealismus muss also mit Pragmatismus verknüpft werden. Um herauszufinden, welche Ideen realisierbar sind und welche nicht, ist es ratsam, nicht nur Experimente durchzuführen, sondern auch eine konkrete Roadmap für die Umsetzung dieser Ideen zu erarbeiten. Dabei sollten Sie von der Markteinführung an rückwärts arbeiten und nicht von der aktuellen Situation aus vorwärts denken. Gehen Sie zurück zum Moonshot – der großen Idee, die Ihre Kund:innen so sehr begeistert hat, dass sie sich mit anderen darüber ausgetauscht haben. Arbeiten Sie von diesem Endziel ausgehend rückwärts und legen Sie dabei den Weg zum Ziel genau fest.
Diese Technik wird auch als „Backcasting“ bezeichnet und hilft Ihnen dabei, nicht realisierbare Ideen zu identifizieren. Denn wenn Sie sich die Roadmap ansehen, werden die Stellen deutlich, an denen Sie nicht über die Ressourcen verfügen, die Sie für die Umsetzung der Idee benötigen. Ein weiterer großer Vorteil des Backcasting besteht darin, dass sich das große, ambitionierte und beängstigend scheinende Ziel in konkrete Einzelschritte aufgliedern lässt. So wird es einfacher, der Umsetzung der Idee Schritt für Schritt näherzukommen und die nötige Dynamik zu entfesseln.
Vor dem Start die Abbruchkriterien festlegen
Das ist etwas, was die „Moonshot Factory“ von Alphabet (früher Google X und jetzt einfach X genannt) besonders gut macht. Bei X werden Produkte und Experimente, die ihre Ziele nicht erreichen, aufgegeben. X entwickelt eine Reihe von „Abbruchkriterien “ oder „Go/No-Go“-Kriterien, um festzulegen, wann ein Projekt weitergeführt und wann es abgebrochen wird. Diese Kriterien werden zu Projektbeginn festgelegt – also wenn das Team noch unvoreingenommen ist und bevor emotionale und finanzielle Investitionen das Urteilsvermögen trüben könnten.
Manchmal kommt jemand auf eine verrückte Idee, und das Team ist richtig motiviert, sie auszuprobieren. Man beginnt, auf die Umsetzung hinzuarbeiten. Wenn erst einmal Zeit, Geld und Ressourcen investiert wurden, ist es schwer, einen Rückzieher zu machen, selbst wenn die Idee nicht funktioniert. Das Projekt fühlt sich dann eher wie ein Misserfolg an und nicht wie ein Experiment, das nicht funktioniert hat. Deshalb ist es auch so wichtig, schon vor dem Start die Abbruch- oder Weiterführungskriterien für das Experiment festzulegen.
Die Vorteile des Moonshot-Denkens auf die Customer Experience übertragen
Das Moonshot-Denken ist nicht nur bei der Jahresplanung hilfreich, sondern kann – und sollte – das ganze Jahr über angewendet werden, um Raum für Innovationen im gesamten Serviceteam zu schaffen. Ihre Serviceteams sprechen täglich mit Kund:innen. Schaffen Sie für Ihre Servicemitarbeiter:innen eine Umgebung, in der diese sich sicher fühlen, wenn sie ihr Feedback in Echtzeit an die Unternehmensleitung weitergeben. Ihre Servicemitarbeiter:innen müssen darauf vertrauen können, dass ihr Feedback etwas bewirkt, weil das Führungsteam ihre Meinung wirklich schätzt.
Wenn Ihre Mitarbeiter:innen nicht das Gefühl haben, offen ihre Meinung sagen zu können, schränkt das nicht nur Ihr Innovationspotenzial ein, sondern kann im schlimmsten Fall zu einer Katastrophe führen. Zwei tragische Beispiele dafür sind die Challenger- und Columbia-Unglücke. Bei beiden Shuttle-Katastrophen äußerten die Ingenieur:innen Bedenken und Vorschläge, die von ihren Vorgesetzten zurückgewiesen wurden.
Dieses Szenario tritt leider in den verschiedensten Branchen auf. Wenn Sie als Serviceleiter:in eine überragende Customer Experience schaffen und Ihre Teamkultur verändern möchten, müssen Sie dafür sorgen, dass Kundenservicemitarbeiter:innen Warnungen geben können. Ermutigen Sie die Servicemitarbeiter:innen, Kundenfeedback weiterzugeben, und versichern Sie ihnen, dass ihre Bedenken Gehör gefunden haben, auch wenn die Vorschläge letztlich nicht umgesetzt werden.
Das funktioniert nur, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangehen. Sie könnten z. B. sagen: „Ich werde Fehler machen. Ich werde Dinge übersehen. Und Sie müssen mir dabei helfen zu erkennen, was ich übersehe.“ Durch den Aufbau eines solchen von Vertrauen und Empathie geprägten Umfelds können Serviceleiter:innen die Kundenbeziehung verändern.
Weitere Inspiration zum Moonshot-Denken und zu damit verbundenen Tools finden Sie in Ozan Varols Buch Think Like a Rocket Scientist.
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