„E-Commerce ist nicht die Kirsche auf der Torte. Es ist die Torte“, sagte einst Jean-Paul Agon, Vorstand des L’Oreal-Konzerts. Auch wenn sich der Kosmetikmarkt nicht ohne Weiteres auf die Automobilindustrie übertragen lässt, war diese Lippenstift-Erkenntnis den Autoren einer MHP-Studie werthaltig genug zitiert zu werden. 66 Prozent der Kunden sind demnach bereit, ein Auto online zu erwerben. Ein lohnendes Ergebnis, schließlich können die Automobilhersteller so 8 bis 15 Prozent gegenüber dem klassischen Vertrieb einsparen.
„Wer einen Neuwagen kauft, wird dies in Zukunft direkt über den Hersteller tun“, ist Johannes Trenka, Managing Director bei Accenture Strategy überzeugt. Neu Automarken wie Byton, Genesis, Nio oder Tesla machen es vor und setzen auf neue Vertriebskonzepte. „Die Frage ist nicht mehr, ob die Hersteller in den Direktvertrieb einsteigen, sondern mit welchen Folgen für den klassischen Autohandel“, so Trenka. Diese Frage werden wir im Folgenden beantworten, wenn wir dem aktuellen Wandel im Vertrieb auf den Grund gehen.
Der Einfluss von Big Data
Der Ausbau des Direktvertriebs ist für Hersteller dabei nicht allein aus Kostengründen interessant. Um Kunden effektiv an eine Marke zu binden, ist nichts so relevant wie Informationen über diese. Welche Informationen schaut er sich auf der Herstellerseite an? Welche Fragen stellt er im Chat? Welche Wünsche äußert er auf Facebook? Informationen aus jedem digitalen Touchpoint lassen sich auswerten, Angebote und Entwicklungen können so optimal auf die Kundschaft zugeschnitten werden. Durch Connected-Car-Technologien gehört hierzu sogar das Fahrverhalten der Kunden. Fährt er eher kurze oder lange Strecken? Eher in der Stadt oder eher auf dem Land? Bisher kommen die Hersteller an einen Großteil dieser Informationen nur schwer heran, da sich dies bei den anderen Playern der Automobilindustrie, den Zulieferern oder Händlern befinden. Ein Ausbau des Direktvertriebs soll hier die Situation verbessern.
Auch die Customer Journey ist im Wandel
Dass sich Verbraucher beim Autokauf vermehrt über digitale Kanäle informieren, ist keine Überraschung. Wie sehr die Customer Journey allerdings dadurch beeinflusst wird, verwundert dann schon. 92 Prozent der Autokäufer recherchieren online, ehe sie ein Auto kaufen, dabei summieren sich die digitalen Touchpoints innerhalb von 3 Monaten auf über 900 (Quelle). Internetseiten mit Testberichten sind dabei die bevorzugte Quelle. Nur 10 Prozent geben den Händler als Informationsquelle an, die von 78 Prozent bevorzugt eigenständig durchgeführt wird (MHP).
Aufgrund der vielen digitalen Informationsquellen ist die persönliche Beratung nur noch für 54 Prozent der Kunden ein wichtiger Teil der Customer Journey, die für 40 Prozent davon auch online stattfinden kann. Das bedeutet im Schnitt: Von 100 Autokäufern wollen nur noch 33 das Autohaus wegen eines Beratungsgesprächs aufsuchen. Immerhin führen noch 63 Prozent der Kunden vor dem Kauf eine Probefahrt durch. Auch wenn diese bevorzugt online gebucht wird (76 Prozent), bleibt hier ein wichtiger Touchpoint bestehen.
In der Entscheidungsphase ist dann allerdings die Online-Welt dem stationären Handel wieder deutlich überlegen. Insbesondere ein garantierter Preisvorteil beim Onlinekauf, sowie die Möglichkeit das Auto nach den eigenen Vorstellungen zu konfigurieren sind hier die entscheidenden Vorteile. So wundert es nicht, dass 66 Prozent grundsätzlich bereit sind, ein Auto online zu erwerben, auch wenn sich immerhin 46 Prozent noch einen Kaufabschluss beim Handel wünschen.
Die letzte Phase der Customer Journey, den Aftersales-Bereich ausgenommen, bildet die Fahrzeugübergabe. 57 Prozent der Kunden wünsche sich hier den Autohandel als Partner, während sich nur 23 Prozent eine selbständige Fahrzeugübernahme ohne Kontakt wünschen.
eBook: Digitale Chancen – Neue Wege zur Vertriebsoptimierung in der Automobilbranche
Daten als das neue Gold? Was das konkret für die Automobilindustrie bedeutet und wie Salesforce dabei helfen kann, die Automobil-Branche digital zu transformieren, erfahren Sie in dem kostenlosen eBook zu dem Thema.
Konsequenzen für den Handel
Während der 6 Stufen der Customer Journey (Informationsphase – Beratungsphase – Probefahrt – Entscheidungsphase – Kauf – Fahrzeugübergabe) ist der Händler für die meisten Kunden nur noch für die Probefahrt und die Fahrzeugübergabe relevant. Was kann er in Anbetracht dessen dem zunehmenden Trend des Direktvertriebs überhaupt entgegensetzen? Im Wesentlichen gibt es 2 Möglichkeiten, die sich nicht notwendigerweise gegenseitig ausschließen:
- Er kann versuchen, durch eigene digitale Dienstleistungen den Kunden online abzuholen und durch erweiterte Möglichkeiten im Shop diesen von der eigenen Leistung begeistern.
- Er kann neue Geschäftsmodelle etablieren.
Die Digitalisierung des Showrooms
Um schon während der Informationsphase relevant zu sein, sollte der Händler Informationsmaterialien und Testberichte auf der eigenen Webseite anbieten. Für die Beratungsphase sollten Unternehmen online auf allen relevanten Kanälen wie Facebook, WhatsApp, etc. verfügbar sein. Eine 24/7-Verfügbarkeit lässt sich mit modernen Chatbots realisieren, die auf die meisten Nutzerfragen passende Antworten kennen. Zumindest zu den Geschäftszeiten sollte aber immer auch ein menschlicher Berater in den verschiedenen Kanälen zur Verfügung stehen. Termine zur Probefahrt sollten sich einfach online buchen lassen. Im Store selbst können ein einfacher Konfigurator und eine Reihe digitaler Zusatzangebote den Besuch zu einem Erlebnis werden lassen. Gleichzeitig kann dem Kunden durch Augmented- und Virtual-Reality Anwendungen ein Fahrzeug präsentiert werden, selbst wenn es nicht vor Ort ist. Auch bei der Fahrzeugübergabe kann, wenn vom Kunden gewünscht, eine Einweisung mittels digitaler Medien stattfinden.
Neue Geschäftsmodelle
Alternativ kann sich der Autoverkäufer zukünftig auch ausschließlich auf seine relevantesten Gebiete spezialisieren und sein Händler Dasein in ein alternatives Geschäftsmodell wandeln. Da sich die meisten Kunden immer noch eine Probefahrt wünschen, besteht ein mögliches Geschäftsmodell darin, gegen eine Provision ein professionelles Test Drive Center zu werden und so eine erlebbare Marke anzubieten.
Ein Auslieferungscenter hingegen könnte so etwas wie der Paketshop der Automobilindustrie sein. Hier wird das Auto nicht länger gekauft, sondern nur noch gegen eine Provision abgeholt. Bei Bedarf erhält der Kunde noch eine Einweisung. Diese Geschäftsmodell ist mit dem Test Drive Center kombinierbar. Statt einfach nur Autos zu verkaufen, kann der Händler auch Mobilität als Dienstleistung anbieten. So kann durch ein Abo-Modell dem Kunden beispielsweise je nach Bedarf ein passendes Modell zur Verfügung gestellt werden, wobei der Händler durch seine lokale Nähe zum Kunden punktet. Auch ein stationäres Carsharing oder ein Limousinen-Service kann angeboten werden.
Erfahren Sie mehr über die Zukunft des Autohandels:
Der Kunde zählt
Grundsätzlich ist der Onlinehandel kein Monopol für den Hersteller und auch der Autohändler kann seine Fahrzeuge direkt online verkaufen. Immerhin 21 Prozent bieten ihre Modelle über einen eigenen Online-Shop an, 28 Prozent über eine mit dem Automobilhersteller gemeinsame Lösung und ein Drittel über die Plattform eines Drittanbieters. Insbesondere das eigene Angebot sollte hier ausgebaut werden. Hier fallen Daten an – etwa zwischen welchen Angeboten der Kunde schwankte – und Daten sind nicht nur für Hersteller und Zulieferer relevant, sondern auch für den Händler. Der Online-Autoverkauf kann dabei auch im Showroom selbst über eine Smartphone-App oder Zugangspunkte vor Ort absolviert werden. Auf diese Weise sind große Verkaufsflächen mit verschiedenen Modellen direkt zum Mitnehmen keine Notwendigkeit mehr und neue Show- und Experiencerooms lassen sich auch in Einkaufsmeilen in Stadtzentren errichten.
Dabei profitieren die Händler selbst von der zunehmenden Lancierung digitaler Angebote, schließlich erhalten auch sie wertvolle Kundendaten. So können Sie ein optimales, personalisiertes Verkaufs- und Aftermarket-Erlebnis schaffen und bleiben ein wichtiger Bestandteil der Automobilindustrie – als Torte oder zumindest als lukrative Kirsche mit spezialisierten Geschäftsmodell.
Lernen Sie aus erster Hand, wie Thomas Steger bei Viessmann den Service revolutioniert: