Stefan Kiefer ist seit Januar 2021 Geschäftsführer der Charta der Vielfalt. In dieser Rolle verantwortet er die Steuerung, Weiterentwicklung und den Außenauftritt der Charta. Zuvor setzte er sich als Vorstandsvorsitzender der Stiftung der Deutschen Fußball Liga ebenfalls für Diversität ein.
Stefan Kiefer hat eigentlich gerade keine Zeit, aber er nimmt sie sich. Unser Interview fällt mitten in die Vorbereitungen für den 9. Deutschen Diversity Tag. Ein Tag, an dem der Charta der Vielfalt e.V. eine gemeinsame Bühne schafft für deutschlandweite Initiativen und Aktionen für mehr Diversität in der Arbeitswelt.
In unserem Gespräch erzählt Kiefer, wie der Einsatz für Diversität ihn durch sein Berufsleben begleitet, wie Menschen lernen, sich solidarisch mit anderen zu zeigen und ihren Einfluss für deren Bedürfnisse einsetzen können – und wo wir in Deutschland bei Diversity und Inclusion stehen.
Herr Kiefer, Sie sind seit Anfang 2021 Geschäftsführer der Charta der Vielfalt. Was verbindet Sie persönlich mit Diversität?
Im Grunde haben sich Vielfalt und Inklusion durch meine ganze Berufslaufbahn gezogen. Gerade der Sport ist im besten Fall gelebte Inklusion und Integration. Er bringt Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Fähigkeiten zusammen, die als Team am gleichen Ziel arbeiten. Jedes Sportteam kann nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn sich die Teammitglieder ergänzen. Genau das gilt im Berufsleben: Vielfalt – von Menschen und ihren Fähigkeiten – ist ein Erfolgsfaktor. Das ist nicht einfach eine Meinung: Zahlreiche Studien haben es in den letzten Jahren belegt.
Die Charta der Vielfalt setzt sich für Gleichberechtigung ein. Sie fallen dabei auf den ersten Blick optisch eher in die Kategorie von Mensch, der kaum oder keine Benachteiligung erleben muss. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Die Frage ist schön, weil sie zeigt, wie schnell sich unbewusste Vorurteile einschleichen. Vielen Menschen sehen wir überhaupt nicht an, ob sie vielleicht einen Bezug zu einer anderen Herkunft, einer Religion, einer Orientierung oder eine Behinderung haben. Die meisten Formen von Vielfalt sind unsichtbar. Und auch Menschen, die keine strukturellen Benachteiligungen erleben, können sich glaubwürdig für Gleichberechtigung stark machen. Diese Allys, also Fürsprecher:innen, sind eine bedeutende Unterstützung. Dafür setze ich mich ein und versuche es täglich vorzuleben.
Was macht die Rolle eines solchen Allys aus?
Allys solidarisieren sich mit Betroffenen, machen sich für deren Themen stark und stellen sich ganz bewusst gegen diskriminierende Handlungen und Strukturen. So schaffen wir als Allys Bewusstsein für unbewusste Vorurteile. Das wichtigste Instrument von Allys ist es, Menschen zuzuhören, sie zu verstehen, sie wirklich wahrzunehmen und kennenzulernen. Somit können wir andere wirklich unterstützen. Aber auch dann müssen wir mit ihnen reden, nicht über sie. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt.
Dabei dürfte Selbstreflektion eine große Rolle spielen.
Wir müssen ständig Selbstreflektion betreiben, sonst können wir uns auch unserer eigenen Vorurteile nicht bewusst werden. Nehmen Sie mich selbst: Natürlich formuliere ich heute anders, als ich es als junger Mann in den 80ern getan habe. Das ist sowohl dem gesellschaftlichen Wandel als auch meinem eigenen Hinterfragen zu verdanken. Damals habe ich sicher auch Dinge so formuliert, wie ich das heute nicht einmal mehr denken würde.
Chancengleichheit ist einer der wichtigsten Grundsätze für Salesforce. Wir glauben daran, dass Gleichberechtigung und Diversität uns als Unternehmen und Gesellschaft besser machen. Das ist Teil unseres Erfolgsrezepts, deshalb zählen auch wir zu den Unterzeichnern der Charta.
Das Bewusstsein für Diversity ist in vielen Unternehmen angekommen. Was können und sollen Führungskräfte heute tun, welche Rolle kommt ihnen als Allys zu?
Glaubwürdig und ernsthaft kann ich Diversity nur betreiben, wenn ich es von der Unternehmensspitze bis in den letzten Winkel trage. Führungskräfte können als Role Models mit viel höherer Sichtbarkeit Themen platzieren und Veränderung bewirken. Wenn sie sich als Allys für Themen einsetzen, von denen sie persönlich nicht betroffen sind, verleiht das dem Anliegen zusätzlich Gewicht. Wenn der Geschäftsführer sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt, kann ihm niemand unterstellen, dass er das aus Eigennutz tut. Das hilft, Themen glaubwürdig und ernsthaft voranzutreiben.
Das kann aber auch schiefgehen: Dann gibt es Bilder wie eine komplette Herrenriege, die sich für mehr Frauen einsetzen.
Es gibt solche Situationen. Da entstehen Szenen, die sind unglaublich – und zeigen oft auch mangelnde Sensibilität für Diversity. Man muss Menschen und Organisationen aber auch zugestehen, dass sie noch am Anfang stehen und lernen müssen. Niemand ist unfehlbar – und wenn die Absichten ehrlich sind, heißt Wertschätzung auch, Fehler zu verzeihen. Wichtig ist aber: Als Ally spreche ich nicht über andere, ohne dass diese als selbst Gesprächspartner:innen berücksichtigt werden. Ein Beispiel: Wenn ich in eine Gesprächsrunde eingeladen werde, um über die Situation von People of Color zu sprechen, dann kann ich das gern tun – und kann dazu auch eine eigene Meinung haben. Das geht aber nicht in einer Runde, in der ich ausschließlich mit anderen weißen Menschen sitze. Ich werde nur beteiligen, wenn auch Menschen mitdiskutieren, die selbst betroffen sind.
Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wie wollen Sie mit der Charta der Vielfalt diese Themen in den nächsten Jahren vorantreiben?
Die Charta der Vielfalt ist eine Initiative für und aus der Arbeitswelt. Wir wollen nicht nur auf Diversity und Inclusion aufmerksam machen, sondern konkreten Wandel vorantreiben. Das erreichen wir, indem wir die individuellen Mitarbeiter:innen in den Blick nehmen. Damit sie selbst zu neuen Erkenntnissen kommen – und damit in der Familie oder im Freundeskreis ins Gespräch kommen. Im besten Fall setzen wir so eine breite Bewegung in der ganzen Gesellschaft in Gang. ■
Die Charta der Vielfalt wurde 2006 als Arbeitgeber-Initiative ins Leben gerufen mit dem Ziel, Vielfalt in der Arbeitswelt zu fördern. Über 3900 Unternehmen haben sie inzwischen unterzeichnet. Der gleichnamige Verein wurde 2010 gegründet, um die Aktivitäten der Initiative inhaltlich voranzutreiben.