Anders als die globale Coronavirus-Pandemie überrascht uns die Klimakrise nicht – ihre Anzeichen sind offensichtlich, darüber ist sich die Wissenschaft seit Jahrzehnten einig. Was zu tun wäre, wissen wir eigentlich auch. Dennoch wankt die Energiewende, auch in Deutschland. Die Energieökonomin Claudia Kemfert erläutert, woran es fehlt – und was zu tun ist.
Frau Professorin Dr. Kemfert, Sie haben kürzlich gesagt: „Eine kluge Energiewende ist nicht teuer“. Was meinen Sie damit?
Eine kluge Energiewende setzt auf erneuerbare Energie und gezieltes Energiesparen. Damit werden hohe Kosten durch die Atomenergie wie der Bau und Rückbau von Kraftwerken oder die Endlagerung von Atommüll vermieden. Genauso wie sehr hohe Umwelt- und Gesundheitskosten, die durch Kohlekraftwerke verursacht werden. Hinzu kommen die Folgekosten, die durch einen ungebremsten Klimawandel entstehen, wie beispielsweise Schäden an Infrastruktur durch extreme Winde oder Überflutungen, Ernteschäden oder Kosten durch Waldbrände bei Dürre. Die Gesamtkosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien sind deutlich niedriger als die des jetzigen Energiesystems.
2019 wurden in Deutschland fast die Hälfte des Stroms durch erneuerbare Energien gewonnen, der CO2-Ausstoß der Branche war im Vergleich zum Vorjahr rückläufig. Würden Sie sagen, wir sind auf einem guten Weg?
Wir sind auf dem richtigen Weg, in der Vergangenheit haben wir durch die gezielte Förderung erneuerbarer Energien viel richtig gemacht. Doch jetzt stockt der weitere Ausbau. Wenn das Ausbautempo der erneuerbaren Energien nicht massiv erhöht wird, werden wir weder Klima- noch Energiewende-Ziele erreichen. Wir laufen sehenden Auges in eine Ökostromlücke und können den Kohleausstiegsplan nicht halten. Das muss sich durch eine Anpassung der Rahmenbedingungen rasch ändern.
Was bedeutet das für den Mittelstand? Wie können Unternehmen dazu beitragen?
Der Mittelstand ist eine wichtige Säule der Energiewende. Zum einen kann er durch gezielte Emissionssenkungen aktiv zum Klimaschutz im eigenen Land beitragen. Zum anderen können wir so Innovationen hervorbringen, die für alle Weltnationen enorm wichtig sind. Das zeigt die weiter steigende globale Bedeutung von Umweltschutzgütern made in Germany, angefangen bei Recycling über Wasseraufbereitung, effiziente und nachhaltige Dämmmaterialien bis hin zu neuesten chemischen Produkten als Ersatz für Öl. So werden ebenso die Emissionen in anderen Ländern gesenkt – und gleichzeitig unsere Wirtschaft durch nachhaltige Wirtschaftsweise zukunftsfähig gemacht.
Die einschneidenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 zeigen, dass wir als Gesellschaft bereit sind, potenziell große wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen, um die Sicherheit aller zu garantieren. Was können wir aus dieser Situation mit Blick auf die Energiewende lernen?
Wir sehen, dass eine gesunde und starke Demokratie am besten geeignet ist, mit Krisen umzugehen. Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ziehen an einem Strang. Solidarität und gemeinschaftliches Handeln sind genau die Dinge, die wir zur Bewältigung der Klimakrise auch benötigen. Daraus können wir lernen, dass wir Bürger aktiv in die Energiepolitik einbeziehen müssen, um Akzeptanz für eine dezentrale Energieproduktion zu schaffen. Diese würde auch vor Ort die Resilienz der Netze gegenüber Krisen stärken und sie so weniger anfällig für externe Schocks machen.
Was lässt sich noch aus unserem Umgang mit der Coronavirus-Pandemie für den Klimaschutz ableiten?
Wir haben es mit zwei unterschiedlichen Krisen zu tun, die aber ganz ähnliche Muster in sich tragen: Das Motto heißt: „FlattenTheCurve“. Das, was wir derzeit beim Umgang mit dem Coronavirus lernen, gilt auch beim Klimaschutz. Wir müssen heute handeln, um die Katastrophen von morgen und übermorgen zu verhindern. Zur Überwindung der Corona-Krise gibt es viel Geld vom Staat. Die Klimakrise muss unbedingt mitgedacht werden!Nach der Pandemie sollten wir klimaschonende Technologien wie Digitalisierung, ÖPNV, Schienenverkehr, intelligente Stromnetze, Ausbau der Ladeinfrastruktur und emissionsfreie Antriebe auch für den Flugverkehr fördern.
Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Die Wirtschaftsexpertin auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz wurde 2016 in den Sachverständigenrat für Umweltfragen berufen. Im April diesen Jahres hat sie das Buch „Mondays for Future“ (Murmann Verlag, 2020) veröffentlicht, in dem sie aufzeigt, warum Klimaschutz der Weg aus der aktuellen Krise ist – ökonomisch, ökologisch und sozial.
Fotografie: Roland Horn