Krisen und Lieferengpässe sind viele Retailer ja bereits gewohnt – nach mehr als zwei Jahren Pandemie. Dass sich im Zeitverlauf das Kaufverhalten ändert, ist auch nicht wirklich neu. Aber nun kommt der Krieg in der Ukraine dazu. Ob und wie sich das auswirkt, hat das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln in Zusammenarbeit mit Salesforce in seinem aktuellen Trend Check Handel untersucht. In einer repräsentativen Onlinebefragung zu ihrer Stimmung und Shoppinggewohnheiten wurden dafür 500 Konsument:innen interviewt. Das eindeutige Ergebnis: Wegen Lieferengpässen werden Käufe derzeit vermehrt verschoben oder gar nicht erst vorgenommen. Die gestiegenen Preise, vor allem im Lebensmittelbereich, treiben vielen Käufer:innen Sorgenfalten auf die Stirne. Rund der Hälfte der Befragten verspürt Angst, in Zukunft den eigenen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Gespart wird deshalb aktuell häufig beim Einkauf von Nahrungs- und Genussmitteln. Es ist aber laut der Studie damit zu rechnen, dass auch andere Branchen von dieser Konsumverschiebung betroffen sein werden, wenn die Preise weiter branchenübergreifend steigen. In Zahlen bedeutet das:
· 42 Prozent der Befragten verzichten generell auf Käufe
· 38 Prozent entscheiden sich für andere kostengünstigere Produkte
· 8 Prozent stornieren sogar eine bereits getätigte Bestellung
Das Hamstern kehrt wieder zurück
Bei den „Fast Moving Consumer Goods“ (FMCG) lassen sich Auswirkungen geänderten Kaufverhaltens immer am schnellsten und deutlichsten feststellen. Leere Regale bei Sonnenblumenöl und Weizenmehl machen das überdeutlich. Ein Drittel der Konsument:innen legt aktuell Vorräte an, da sich gerade durch den Ukrainekrieg viele Menschen bei der Versorgung mit Produkten des täglichen Bedarfs nicht mehr sicher fühlen.
Während die meisten Verbraucher:innen allerdings damit rechnen, dass die FMCG-Lieferengpässe nur von kurzfristiger Dauer sein werden, sieht es etwa bei Automobilen oder Fahrrädern anders aus. Hier kalkulieren viele Kaufwillige mit Störungen der Zulieferketten von über einem Jahr. Allerdings ist bei solchen größeren Investitionen ohnehin eher Geduld verbreitet – geplante Anschaffungen werden deshalb zunächst nur verschoben. Neben Lieferengpässen steht der Handel aktuell auch noch vor einer weiteren Herausforderung: den Preissteigerungen, insbesondere bei den Produktgruppen Lebensmittel und Benzin. Auch dies führt gerade bei jüngeren Menschen zu Angst: Bei den 18- bis 29-Jährigen ist der Anteil derjenigen mit Zukunftsangst mit 70 Prozent sogar noch deutlich ausgeprägter als in der Gesamtbevölkerung. Allerdings spart diese Zielgruppe nicht beim Sprit, sondern vor allem bei Lebensmitteln. Ganze 44 Prozent wechseln für den Einkauf aktuell schon häufiger als früher zum Discounter.
E-Commerce-Umsätze in Deutschland sinken um 15 Prozent
Nicht nur im stationären Handel gibt es Verschiebungen. Auch der E-Commerce bricht ein. Die aktuellen Daten von Salesforce deuten darauf hin, dass sich das Verbrauchervertrauen und die Online-Ausgaben für den Rest des Jahres wahrscheinlich abschwächen werden. Der Salesforce Shopping Index Q1 2022, der die Einkaufsdaten von mehr als einer Milliarde Verbraucher:innen aus 61 Ländern weltweit analysiert, stellt erstmals in seiner neunjährigen Geschichte einen Quartalsrückgang fest. So ist die Zahl der Zugriffe auf die digitalen Shopping-Plattformen global um zwei Prozent zurückgegangen. Erstmals kam es nach vielen Quartalen mit kontinuierlichem Wachstum auch bei den anderen Kennzahlen zu einem Einbruch. Vor allem in Europa sind die Online-Verkäufe (-13 Prozent) und das Bestellvolumen (-17 Prozent) deutlich geschrumpft, da die Menschen mit steigenden Benzinpreisen und einem Krieg auf ihrem Kontinent konfrontiert sind. Die anonymisierten Daten stammen aus den Onlineshops, die mit der Salesforce Commerce Cloud betrieben werden und spiegeln damit das reale Einkaufsverhalten wider und sind nahezu in Echtzeit abrufbar. Während im ersten Vierteljahr das Minus im Onlinehandel weltweit drei Prozent betrug, lag der Rückgang beim Gross Merchandising Volume (GMV) gegenüber dem ersten Quartal 2021 in Deutschland sogar bei 15 Prozent – fünfmal so viel wie im globalen Durchschnitt. Bereits über die Weihnachtsfeiertage haben sich die Herausforderungen bemerkbar gemacht, die Verbraucher:innen hierzulande stark beschäftigen. Im neuen Jahr beeinflussen Inflation, niedrige Lagerbestände und längere Wartezeiten bei Lieferungen das Kaufverhalten sogar noch stärker. Obwohl der digitale Handel insgesamt gesehen weiter auf dem Vormarsch ist, sind die Verbraucher:innen auch im E-Commerce zurückhaltend bei ihren Ausgaben. So stagniert der durchschnittliche Warenkorbwert in Deutschland mittlerweile seit einem Jahr und lag im ersten Quartal 2022 bei 96,12 Dollar. Die durchschnittliche Rabattrate ging wieder auf zwölf Prozent zurück, nachdem sie im vierten Quartal 2021 noch bei 15 Prozent gelegen hatte. In den USA gaben die Verbraucher:innen im ersten Vierteljahr bei ihren Online-Einkäufen mit dem Rekordwert von 115,15 Dollar dagegen im Durchschnitt deutlich mehr aus, obwohl es dort mit 15 Prozent sogar höhere Rabatte gab. Das Fazit für den Einzelhandel in Deutschland kann deshalb also nur heißen: Reibungsverluste zwischen den Verkaufskanälen entschieden angehen und Kundenbindungssysteme im Offline- und Online-Shopping besser miteinander verknüpfen.
Das erste Online-Shopping Quartal 2022 in Zahlen
Das Bestellvolumen schrumpfte in Deutschland gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 17 Prozent. Die Warenbestände gingen im März 2022 in Deutschland um zehn, weltweit um fünf Prozent zurück, da Einzelhändler:innen und Verbraucher:innen immer noch mit großen Herausforderungen in der Lieferkette zu kämpfen hatten. Insbesondere die Lockdowns in China und die Schließung des Überseehafens in Shanghai wirkten sich negativ aus. Auch die Kennzahl „Units per transaction“ (UPT) wurde kleiner: Sie sank jeweils um ein Prozent weltweit und in unserem Land. Während die Durchschnittspreise im Onlineshopping weltweit um sechs Prozent zulegten, gingen sie in Deutschland laut der Analyse im ersten Quartal sogar um ein Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Die höchsten Preissteigerungsraten verzeichneten die USA mit elf und der Wirtschaftsraum Asien-Pazifik (APAC) mit neun Prozent. Angesichts des exponentiellen Anstiegs der Kraftstoffpreise, der zunehmenden Warenknappheit und der anhaltenden Inflation, die sich allesamt auf die weltweiten Kaufgewohnheiten auswirken, kann sich der bisherige Optimismus der Verbraucher:innen schon sehr schnell ins Gegenteil verkehren. Für die Einzelhändler bedeutet dies, dass sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Stimulierung der Nachfrage durch Rabattaktionen und der Optimierung ihrer Gewinnspanne finden müssen.
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