„Verhaltensänderungen sind ein komplexer Prozess“, sagt Marcel Hunecke. Sie passieren nicht von heute auf morgen, Gewohnheiten haben meist eine positive Funktion für uns, daher ändern wir sie nicht einfach so. Hunecke erklärt den Prozess bei einer Verhaltensänderung anhand eines Modells aus fünf Phasen: Information, Motivation, Planung, Umsetzung und Routinisierung. Schon bei der Informationsphase geht es aber nicht einfach darum, dass Wissen verfügbar ist. „Nur, weil die Klimakrise als Problem bekannt ist, bedeutet das nicht, dass alle wissen, was sie persönlich zur Lösung beitragen können“, so Hunecke.
Und selbst wenn das Wissen vorhanden ist, reicht auch das noch nicht. Die größere Hürde sieht er bei der Motivation: „Hauptsächlich handeln Menschen nicht nachhaltiger, weil sie es nicht genügend wollen“, erklärt der Umweltpsychologe. Jeder Mensch verfolgt unterschiedliche Ziele, vertritt verschiedene Überzeugungen. Um handlungsfähig zu sein, müssen wir sie in eine Reihenfolge bringen und priorisieren. Denn wir haben nur begrenzt Zeit und Energie, diese Ziele zu erreichen.
Selbst, wenn wir Klimaschutz für richtig halten, ändern wir unser Handeln erst dann, wenn es uns als Ziel wichtiger ist als andere. Doch auch, wenn unsere Motivation hoch genug ist, gibt es noch weitere Hürden: Wir müssen unsere Verhaltensänderung planen und in Routinen überführen, um nicht in alte Gewohnheiten zurückzufallen.
Vom Wissen zum Handeln
„Nehmen wir den Verzicht auf Fleisch als Beispiel. Zuerst geht es um die Information, dass es ein Problem gibt – Fleischprodukte verursachen in der Herstellung eine vergleichsweise hohe Menge CO2. Konsumieren wir also weniger, wirkt sich das positiv auf unsere eigene Umweltbilanz aus“, erklärt Hunecke. „Unsere Motivation steigt dann, wenn das Vorhaben ‚Weniger Fleisch konsumieren‘ verschiedene unserer Motive erfüllt – hier könnten etwa Nachhaltigkeit, Tierschutz und Gesundheit eine sogenannte Motiv-Allianz bilden.“
Das entfaltet stärkere Wirkung, dann reduzieren wir unseren Fleischkonsum eher. Im nächsten Schritt müssen wir dann planen: „Wo bekomme ich die Produkte her, was kaufe ich?“ Bei der Umsetzung muss ich dann die Möglichkeit zur Verhaltensänderung haben – also entsprechende Produkte im Supermarktregal finden. Die Routinisierung beinhaltet dann auch, sich selbst zu gestatten, auch mal nachzugeben, ohne gleich alles in Frage zu stellen“, fährt er fort.
Mit Blick darauf, was Organisationen tun können, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, auf diesen Prozess einzuwirken. Am häufigsten setzen Unternehmen dabei auf Richtlinien und Vorgaben, ob nun für die Mitarbeiter oder Dienstleister. So lässt sich etwa beim Thema Dienstreise festlegen, unter welchen Bedingungen Mitarbeiter fliegen dürfen – und wann der Zug oder virtuelle Konferenzen zu wählen sind. „Ich kenne noch kein Unternehmen, in dem virtuelle Konferenzen der definierte Standard sind“, sagt Hunecke. „Natürlich muss man dafür dann aber auch funktionierende Technik bereitstellen.“ Denn Störungen führen zu Frustration und Frustration führt zu Ablehnung.
Als Unternehmen nachhaltiges Handeln fördern
Wirksamer als Top-Down-Strategien ist es, die Mitarbeiter und Stakeholder so in den Prozess einzubinden, dass sie den Raum erhalten, eigene Erfahrungen zu sammeln und diese zu reflektieren. Um wirklich Akzeptanz, Motivation und Verhaltensänderungen zu erreichen, stellt die Kommunikation ein entscheidendes Instrument dar. Unternehmen können aktiv derartige Räume schaffen. „Das hat enorme Bedeutung, auch wenn sie es nicht direkt mit KPIs messen können“, so der Psychologe.
Machen – nachdenken – machen – nachdenken: Das zeigt Effekte. So lässt sich Akzeptanz aufbauen, die auch bis ins Privatleben wirken kann. Unternehmen erreichen das, indem sie sich im gesellschaftlichen Umfeld engagieren – oder innen und außen Impulse setzen. „Organisationen können ihre Mitarbeiter beispielsweise für ein paar Stunden oder Tage freistellen, um sich an gemeinnützigen Aktivitäten zu beteiligen“, erklärt Hunecke.
Entscheidend für kulturellen Wandel ist zudem, zu erkennen, welche positiven Auswirkungen Veränderung auf unseren Alltag haben kann. Wer beispielsweise sein Verhalten umstellt und bevorzugt regionale, saisonale und verantwortungsbewusst produzierte Lebensmittel einkauft, kann dadurch einen höheren Genuss erzielen.
Hunecke hat für diese Aktivierung sogenannte „Psychische Ressourcen“ definiert, „Genussfähigkeit“ ist eine davon. Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinnkonstruktion und Solidarität gehören ebenfalls diesem Set von Ressourcen an. „Sie lassen sich systematisch fördern und bestärken unser Tun – egal ob für uns privat, in Unternehmen oder in unserer Gesellschaft“, sagt der Psychologe.
Und wie können Technologie und die Digitalisierung dazu beitragen, unsere Welt nachhaltiger zu machen? „Einerseits gibt es einen gesellschaftlichen Trend zur Nachhaltigkeit. Nicht weniger stark sind jedoch die gesellschaftlichen Trends der Globalisierung und Digitalisierung, die mehr oder weniger intendiert Prozesse der Enträumlichung und Entkörperlichung nach sich ziehen. Hierdurch nehmen wir unsere natürlichen und sozialen Umwelten und die Folgen unseres Verhaltens darauf nicht mehr unmittelbar wahr. Deshalb sollten wir im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung die Digitalisierung so gestalten, dass wir die Natur und den Kontakt zu anderen Menschen soweit wie möglich erlebbar machen.“
Die globale Coronavirus-Pandemie kann dieser Entwicklung auch einen Schub geben. Viele Menschen erleben jetzt ganz konkret in ihrem Alltag, welche Möglichkeiten Technologie bietet, um beispielsweise mit Freunden in Kontakt zu bleiben und trotz räumlicher Trennung weiter mit Teamkollegen zusammenzuarbeiten. „Auch aus einer Krise heraus können wir lernen, welches Anpassungspotenzial wir haben“, sagt Hunecke. „So können wir erkennen, dass es in vielen Bereichen Alternativen zu unserem gewohnten Handeln gibt.“
Der Umweltpsychologe unterrichtet Prof. Dr. Marcel Hunecke an der Fachhochschule Dortmund am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften. Von ihm stammt auch das Buch „Psychologie der Nachhaltigkeit“ (oekom, 2013).
Fotografie: Christian Krinninger Photography