Wie treu sind europäische Verbraucher:innen ihrem Lebensmittelgeschäft? Wann und unter welchen Bedingungen sind sie bereit, an Treueprogrammen der Einzelhändler teilzunehmen, wenn sie dafür ihre Daten preisgeben müssen? Und – wie wichtig ist heute noch der Preis bei der Kundenbindung?
In seinem „European Grocery Report 2021“ befragte RetailX, der Bereich für Umfragen des Magazins InternetRetailing, knapp 7.000 Europäer:innen aus zwölf Ländern zu ihrer Einstellung und ihrem Verhalten beim Einkaufen von Nahrungs- und Genussmitteln. Für die gemeinsam mit Salesforce erstellte Studie „Lebensmitteleinkauf in Europa“ wurden neben den Antworten der Verbraucher:innen auch quantitative Branchendaten und ausführliche Interviews mit Einzelhändlern und Konsumgüterherstellern berücksichtigt, die bereits im vorangegangenen Bericht „Die Lebensmittelbranche in Europa: Wie die Corona Pandemie die Branche verändert hat“ zusammengefasst worden sind.
Preiserhöhung = Anbieterwechsel – das gilt nicht mehr
Was überraschen mag: Die aktuelle RetailX-Studie zeigt, dass nicht nur der Preis heiß oder von Bedeutung ist. Denn anders als es die wöchentlichen Werbeprospekte von Supermarktketten und Discountern vielleicht glauben machen, entscheidet er längst nicht mehr allein über die Kundenbindung. Zwar nehmen die Verbraucher:innen – gerade in den vergangenen Monaten – Preiserhöhungen wahr und halten nach Alternativen Ausschau. Aber sie schätzen auch Nachhaltigkeit, Komfort, Standort, Sortiment, Verfügbarkeit und Aktionsangebote. Die einfache Gleichung „Preiserhöhung = Anbieterwechsel“ gilt also nicht mehr.
Ja, Kunden sind „preisempfindlich“, so ein Ergebnis der Befragung. Aber vorübergehende Lockangebote zu Sonderkonditionen bei der Konkurrenz reichen nicht aus, um eine gewachsene Loyalität zu einem Lebensmittelgeschäft dauerhaft infrage zu stellen. Viele Kund:innen beteiligen sich zudem an Treueprogrammen „ihres Händlers“, dem sie vertrauen. Sie sind bereit, Informationen und Daten von sich preiszugeben, wenn sie Vorteile – etwa in Form von Rabatten – dafür erhalten. Eine überwältigende Mehrheit der Befragten – rund 84 Prozent – findet, dass sie durch die Loyalty-Aktivitäten ihres Lebensmittelhändlers Vorteile erzielen.
Nachhaltigkeit ist schön – darf aber nicht viel kosten
Umwelt schützen, nachhaltig kaufen? Ja gerne! Aber nur dann, wenn es sich im Preis nicht bemerkbar macht. So jedenfalls das Ergebnis der Befragung. Die Themen Wellness und Nachhaltigkeit haben nicht zuletzt durch die Pandemie einen hohen Stellenwert gewonnen. Deshalb kündigen viele Handelsketten Aktivitäten an, die etwas mit Umwelt-, Tier- und Naturschutz zu tun haben.
Aber: Die wenigsten Käufer:innen wollen für umweltfreundlichere Versionen bekannter Produkte mehr bezahlen. Genauer gesagt, waren nur weniger als 40 Prozent der Befragten bereit, bis zu zehn Prozent mehr auszugeben. Aber 78 Prozent würden aus Nachhaltigkeitsgründen eine bestimmte Marke boykottieren oder den Händler wechseln.
Online-Umsatz mit Lebensmitteln hat sich 2021 fast verdoppelt
Es gibt mittlerweile viele Online-Angebote im Lebensmittelbereich. Laut einer Studie des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) erreichte der Online-Umsatz mit Lebensmitteln im vergangenen Jahr fast 4 Mrd. € und damit 47 % mehr als 2020. Lag damals der durchschnittliche Einkaufswert bei gut 44,50 €, hat er sich inzwischen auf fast 59 € erhöht.
Ob nur ausgewählte Bioprodukte, Spitzenweine oder ein volles Sortiment – das Angebot ist da und wächst. Aber trotz des rasanten Wachstums im E-Commerce hat der stationäre Handel bei den Verbraucher:innen noch immer die Nase vorne, wenn es um den Einkauf von Lebensmitteln geht.
Als Gründe dafür werden in der europaweiten Umfrage von RetailX kundenfreundliche Öffnungszeiten ebenso genannt wie Komfort, hohe Produktverfügbarkeit und ein großes Sortiment. Rund die Hälfte der Befragten, die nicht online einkaufen, geben an, deshalb lieber in ein stationäres Ladengeschäft zu gehen. Und rund ein Drittel räumt ein, dass dieses Verhalten „viel mit Gewohnheit“ zu tun hat.
Markenhersteller setzen auf das D2C-Modell
60 Prozent aller Verbraucher:innen erwerben Markenprodukte über den Einzelhandel. Aber rund ein Viertel bevorzugt es inzwischen auch, direkt bei bekannten Brands in deren Internet-Shop einzukaufen. Neue datenbasierte Einblicke und die wachsende Zahl an Onlinekanälen geben sowohl dem Handel als auch den Produzenten mehr und andere Möglichkeiten, das Kundenerlebnis ansprechender zu gestalten.
Noch steuert der Einzelhandel die Beziehung zur Mehrzahl des Kund:innen, aber das D2C-Model („Direct to consumer“) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Über eigene Onlineshops für den Direktverkauf an Endverbraucher können die Markenhersteller schneller neue Produkte im Markt testen und zusätzliche Kundenbeziehungen aufbauen. D2C eignet sich dabei besonders für regelmäßig gekaufte Produkte. Mit entsprechenden Marketing- und Digitalstrategien können die Hersteller – so die Studie – Marktanteile vom Einzelhandel übernehmen.
Der Service muss den Erwartungen entsprechen
Insgesamt wachsen die digitalen Kanäle immer weiter – laut der Befragung haben in Europa während der Pandemie im Durchschnitt 29 Prozent der Kund:innen begonnen, Lebensmittel erstmals online einzukaufen oder ihre Einkäufe in diesem Segment kräftig auszuweiten.
Aber eines ist auch klar: Wenn der Service – etwa in punkto Lieferzeiten, Frische oder Auswahl – den Erwartungen der Verbraucher:innen nicht gerecht wird, laufen die Online-Angebote längerfristig ins Leere. Preisoptimierung, Aktionsangebote und Kundenbindungsprogramme sind sinnlos, wenn etwa die Zustellung unzuverlässig oder nicht rasch genug erfolgt.
Das Schaffen einer überzeugenden „Digital Experience“ war deshalb für die Lebensmittelbranche und den Einzelhandel im Jahr 2021 von großer Bedeutung. Und diese wird – so der neue Report von RetailX – noch weiter zunehmen, denn das Online-Shopping von Nahrungs- und Genussmitteln wird für immer mehr Menschen alltägliche Gewohnheit. Damit löst der E-Commerce die Discounter als den am schnellsten wachsenden Bereich des Lebensmitteleinzelhandels ab.
Dieser muss stationär wie online das richtige Kundenerlebnis bieten – konsequent, immer wieder, in großem Maßstab und mit Gewinn. „Denn sonst weicht die Kundenzufriedenheit sehr schnell der Verärgerung, die dann zu einer Abwanderung der Kund:innen führt“, so das Fazit des Berichts.