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Das unsichtbare Büro und die Zukunft der Fernarbeit

Eine Frau auf einem Sofa blickt auf etwas, das nicht im Bild zu sehen ist

Zuhause oder Büro: Diese Unterscheidung gibt es beim neuen Arbeitskonzept nicht mehr.

Zuhause oder Büro: Diese Unterscheidung gibt es beim neuen Arbeitskonzept nicht mehr.

Standortunabhängigkeit kann die Arbeit im Homeoffice, im Büro oder an beliebigen anderen Orten umfassen. Arbeit bedeutet heute weniger eine Umgebung als vielmehr einen Bewusstseinszustand. Bereits vor den Ereignissen des letzten Jahres hatte die Abkehr vom Büro als einzigem Raum für die Vernetzung mit Kolleg:innen begonnen. Wir arbeiten auf dem Handy. Wir arbeiten auf dem Laptop.

Diese Entwicklung zeichnete sich bereits ab – und ist inzwischen zum Alltag geworden. Die Zahlen sprechen für sich: Vor der Coronapandemie waren nur 14 Prozent der Führungskräfte aus allen Branchen der Ansicht, dass ihr Unternehmen virtuelles Arbeiten unterstützen könnte. Heute liegt der Anteil laut einer Studie des Harvard Business Review bei 42 Prozent.

Dennoch ist die Mehrzahl der Unternehmen noch immer nicht in der Lage, Fernarbeit umfassend zu unterstützen. Und das wird sich als Nachteil erweisen, denn der Fachkräftemangel verschärft sich und die besten Talente verlangen von ihren Arbeitgebern Flexibilität. 

Wie können Sie die Unternehmenskultur aus einer physischen in eine virtuelle Umgebung übertragen? Wie passen Sie Arbeitsprozesse an, die sich über Jahrzehnte der Arbeit im selben Büro entwickelt haben? 

Die Vorteile des unsichtbaren Büros liegen auf der Hand: Unternehmen können flexibler arbeiten, werden attraktiver für die besten Talente und fördern eine rundum bessere Mitarbeitererfahrung. Der zeitraubende und umweltschädliche Arbeitsweg entfällt, und Mitarbeiter:innen haben mehr Flexibilität in ihrem Berufs- und Privatleben.

Die Vorteile des unsichtbaren Büros liegen auf der Hand: Unternehmen können flexibler arbeiten, werden attraktiver für die besten Talente und fördern eine rundum bessere Mitarbeitererfahrung.

Doch auch die Herausforderungen sind unverkennbar: Es ist nicht leicht, die Workflows und Prozesse, die im Laufe von Jahrzehnten entstanden und fest in der Anwesenheit im Büro verankert sind, von Grund auf neu zu gestalten. Unternehmen mit solider Führung und einer etablierten Unternehmenskultur können nun aber auch außerhalb des alten Regelkorsetts erfolgreich arbeiten.

Virtuelles Arbeiten im Büro: kein Nullsummenspiel

„Gerechte, positive Mitarbeitererfahrungen setzen voraus, dass die Mitarbeiter:innen weitgehend selbst entscheiden können, wo, wann und mit wem sie arbeiten – und dass ihre Entscheidungen umfassend unterstützt werden“, erklärt Ryan Anderson, Vice President of Insights and Research beim Büromöbelunternehmen Herman Miller. „Autonome Entscheidungen zu ermöglichen, ist nicht nur im Interesse der Mitarbeitenden. Es ist auch im Interesse des Unternehmens.“

Dass ein Unternehmen, das die modularen Möbel für das Großraumbüro erfunden hat, einen solchen Ansatz vertritt, mag überraschend klingen. Aber Herman Miller hat seit dem Gründungsjahr 1905 den Finger am Puls des Unternehmenslebens in den USA und entwickelt flexible Umgebungen, die sich schnell an die vielfältigen Veränderungen der Arbeitsweisen anpassen.

Gerechte, positive Mitarbeitererfahrungen setzen voraus, dass die Mitarbeiter:innen weitgehend selbst entscheiden können, wo, wann und mit wem sie arbeiten – und dass ihre Entscheidungen umfassend unterstützt werden.

RYAN ANDERSON
VICE PRESIDENT OF INSIGHTS AND RESEARCH, HERMAN MILLER

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte Herman Miller erstmals modulare Büromöbel für die steigende Anzahl der Büroangestellten heraus. Als die Stanford University ein Vierteljahrhundert später den ersten PC vorstellte, stammte der passende Computertisch von Herman Miller. Als wir uns dann vor einem Jahrzehnt dank Mobilgeräten und 3G-Internet von den sperrigen Desktop-PCs abnabelten, erkannte das Möbelunternehmen das Potenzial des neuen, dezentralen Arbeitsplatzes. Herman Miller veröffentlichte Whitepapers über produktive Fernarbeit und ein standortunabhängiges Arbeitsmodell. Aber die Kund:innen waren noch nicht aufgeschlossen für diese neuen Ansätze.

„Die meisten Unternehmen dachten im Hinblick auf den Arbeitsplatz streng binär: Entweder arbeitet man im Büro oder man ist Fernarbeiter:in“, so Anderson. „Durch Anwesenheitszwang lässt sich keine Produktivität erzielen. Sie müssen überlegen, wie Sie autonomeres Arbeiten ermöglichen können.“

Seit viele Unternehmen durch die Pandemie zur Arbeit im Homeoffice gezwungen waren, sind wir aufgeschlossener für das dezentrale Arbeiten als im Jahr 2005, als Herman Miller das Thema zum ersten Mal ansprach. Die Fernarbeit mag zukunftsweisend, flexibel und virtuell sein, aber einfach ist die Umstellung dennoch nicht.

Nicht alle Unternehmen oder alle Arbeitnehmer:innen vollziehen die gleichen Veränderungen der Arbeitsumgebung. Für die Mehrzahl der Mitarbeiter:innen, auch hier bei Salesforce, geht es bei der neuen Arbeitsumgebung nicht einfach um einen Wechsel vom Büro ins Homeoffice: 

Die meisten von uns werden irgendwo dazwischen liegen, möglicherweise auch an mehreren Standorten, und das bietet nicht nur mehr Flexibilität, sondern verlangt sie auch. Vielleicht sind wir nur einige Tage pro Woche im Büro anwesend, oder wir nutzen gemeinsame Räumlichkeiten für spezifische Aufgaben wie Präsentationen oder Treffen mit auswärtigen Kunden. 

Manche Aufgaben erfordern die Anwesenheit vor Ort. Das betrifft beispielsweise Einsatz- und Pflegekräfte, Verkaufspersonal in Geschäften und Fachkräfte im Gesundheitswesen mit direktem Patientenkontakt. Wo möglich, werden jedoch immer mehr Unternehmen das flexible Arbeiten ermöglichen. Die richtige Lösung unterscheidet sich nicht nur von Unternehmen zu Unternehmen, sondern auch von Team zu Team. Wenn wir die Vorteile der weiteren Arbeitsplatzentwicklungen ausschöpfen wollen, müssen wir uns mit dieser Uneinheitlichkeit abfinden.

„Ich gehe nur mit gutem Grund ins Büro“, sagt Michele Schneider, Senior Vice President, Global Workplace Services bei Salesforce. „Es hätte keinen Sinn, vier oder fünf Tage die Woche zum Büro zu pendeln, nur damit die Vorgesetzten mich dort sehen. Ich überlege mir genau, wann ich das Büro aufsuche.“

Durch Anwesenheitszwang lässt sich keine Produktivität erzielen. Sie müssen überlegen, wie Sie autonomeres Arbeiten ermöglichen können.

RYAN ANDERSON
VICE PRESIDENT OF INSIGHTS AND RESEARCH BEI HERMAN MILLER

Wenn die Büroräume für neue Arbeitsformen genutzt werden, müssen sie entsprechend umgestaltet und umgebaut werden. Die langen Tischreihen könnten einladenderen Räumen für Zusammenarbeit weichen. Unternehmen könnten kleinere Satellitenbüros eröffnen, die den Mitarbeiter:innen lange Arbeitswege ersparen. Homeoffices sollten so ausgestattet werden, dass sie eine komfortable und gesunde Arbeitsumgebung bieten. Auch die Hierarchien und Prozesse müssen sich ändern, um das autonome Arbeiten zu ermöglichen.

Veränderungen beginnen mit der Kultur

Um diese Vorstellungen realisieren zu können, brauchen wir eine Unternehmenskultur, in der die Technologie für uns arbeitet. Im Privatleben sind wir die nahtlose Integration mit Technologie gewohnt. Alles von der Heizung bis zur Musik und Beleuchtung lässt sich über das Smartphone steuern.

Wie oft funktioniert die Technologie bei der Arbeit so nahtlos? Wenn allein die Technologie Kolleg:innen über Teams und Zeitzonen hinweg zusammenhält, muss sie reibungslos funktionieren und uns kennen, damit wir unsere beste Arbeit leisten können.

„Ich erledige alles per Smartphone. Ich steuere damit meine Vorhänge, meine Alarmanlage und mein Bewässerungssystem. Die Technologie kennt mich. Sie weiß, was ich brauche und wie sie mir helfen kann“, sagt Jill Unikel, Senior Vice President, Employee Communications and Engagement bei Salesforce. „Im vergangenen Jahr ist es noch wichtiger geworden, dass Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen die richtige Technologie bereitstellen, damit sie produktiv arbeiten und wirklich ihr Bestes geben können.“

Die richtige Lösung unterscheidet sich nicht nur von Unternehmen zu Unternehmen, sondern auch von Team zu Team. Wenn wir die Vorteile der weiteren Arbeitsplatzentwicklungen ausschöpfen wollen, müssen wir uns mit dieser Uneinheitlichkeit abfinden.

Technologie ermöglicht die Zusammenarbeit über Zeitzonen hinweg und sorgt für den schnellen Informationsfluss zwischen Teammitgliedern. Aber selbst erstklassige Technologie reicht nicht aus, um die alten Arbeitsweisen zu überwinden, die auf Anwesenheit vor Ort basieren. Wir müssen sowohl grundlegende Aspekte der Arbeit als auch die Merkmale eines Teams neu definieren. 

Im Büro erfassen wir die Arbeitskultur, indem wir die Augen und Ohren offen halten. Wir brauchen uns zum Beispiel nur kurz umzusehen, um herauszufinden, wann die Kolleg:innen den Arbeitstag beenden. Im dezentralen Team ist das nicht möglich, also müssen die Erwartungen bereits vorab ausformuliert werden. An die Stelle der im Laufe der Jahre entstandenen unternehmensweiten Kultur treten also teamspezifische Vereinbarungen. Jedes Team erstellt seine eigenen ausdrücklichen Normen und Werte. Manager:innen mit einem Team aus acht bis zehn Mitarbeiter:innen können durch informelle Vereinbarungen eine ganz neue Kultur ins Leben rufen: Wir deaktivieren Benachrichtigungen von der Arbeit nach 19 Uhr. Wir halten die Teammeetings am Vormittag ab, damit wir uns am Nachmittag ungestört auf die Arbeit konzentrieren können. Dieses Modell lässt den Teams den erforderlichen Freiraum zum Dezentralisieren, sodass kleinere, autonomere Kulturen innerhalb des Unternehmens durchgesetzt werden.

Der Begriff „Fernarbeiter:in“ wird in den nächsten Jahren verschwinden. Er vermittelt den Eindruck, dass diese Personen mit großem Abstand und in Isolation arbeiten. Das stimmt jedoch nicht: Teams, die Technologie richtig einsetzen und die gemeinsamen Werte sorgfältig und ausdrücklich ausformuliert haben, können so eng und effizient wie eh und je zusammenarbeiten.

Unternehmen haben erkannt, dass sie dabei richtig vorgehen müssen. Aus diesem Grund wird nun das Personalwesen in Entscheidungen einbezogen, die bislang Facility-Manager:innen vorbehalten waren, welche wiederum direkt den Führungskräften in der Immobilien- und Finanzverwaltung des Unternehmens unterstellt sind. Wenn eine gezielte Vermittlung der gewünschten Kultur und ein gutes Änderungsmanagement fehlen, führt die schnelle Arbeitsplatzdezentralisierung zur „Scheinflexibilität“, wie Anderson es nennt. Scheinflexibilität liegt vor, wenn ein Unternehmen zwar mit einer Kultur der Flexibilität wirbt, in Wirklichkeit jedoch in alte Gewohnheiten zurückfällt, beispielsweise unzählige Meetings ohne Pause oder die bevorzugte Behandlung von Mitarbeiter:innen, die öfter im Büro zu sehen sind.

Ich denke, der Begriff „Fernarbeiter:in“ wird in den nächsten Jahren verschwinden. Er vermittelt den Eindruck, dass diese Personen mit großem Abstand und in Isolation arbeiten. Das stimmt jedoch nicht: Teams, die Technologie richtig einsetzen und die gemeinsamen Werte sorgfältig und ausdrücklich ausformuliert haben, können so eng und effizient wie eh und je zusammenarbeiten.

Neue Führungsstile für das dezentrale Arbeiten

Um die Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich durch die neue Arbeitskultur bieten, werden Unternehmen Systeme und Vorgehensweisen entwickeln, die Silos aufbrechen und für eine nahtlose, abteilungsübergreifende Zusammenarbeit sorgen. Dazu knüpfen sie enge Vernetzungen in und zwischen den Teams und dem Unternehmen als Ganzem. Sie schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit. Das Onboarding neuer Mitarbeiter:innen erfolgt standortunabhängig und sorgt dafür, dass sie sich völlig in ihr neues Unternehmen eingebunden fühlen. 

Herman Miller hilft nicht nur anderen Unternehmen bei der Umstellung auf das dezentrale Arbeiten, sondern vollzieht diese Änderungen auch selbst. Ein Unternehmen, das physische Produkte herstellt und vertreibt, braucht Vorgehensweisen für die nahtlose Koordination von dezentralen und vor Ort anwesenden Mitarbeiter:innen.

Es ist noch wichtiger geworden, dass Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen die richtige Technologie bereitstellen, damit sie produktiv arbeiten und wirklich ihr Bestes geben können.

JILL UNIKEL
SVP OF EMPLOYEE COMMUNICATIONS AND ENGAGEMENT BEI SALESFORCE

„Ich hole inzwischen einfach alle hundert Mitarbeiter in einen Videoanruf. In der Chat-Spalte rechts ist dann immer viel los, und wir sind weitaus informeller geworden“, sagt Ben Groom, Chief Digital Officer bei Herman Miller. „Ganz neue Mitarbeitergruppen melden sich zu Wort. Das ist ein gutes Erlebnis.“

„Unser Ansatz ist erstaunlich simpel. Er zeichnet sich vor allem durch intensive Kommunikation aus“, ergänzt er.

Aufgrund der Lockdowns waren Unternehmen gezwungen, seit Jahrzehnten etablierte Modelle über den Haufen zu werfen und neue Technologien zu akzeptieren.  McKinsey Global Services ermittelte in einer Umfrage unter Führungskräften, dass Unternehmen in den ersten sechs Monaten der Pandemie neue Technologie in einem Umfang einführten, der normalerweise drei oder vier Jahre gedauert hätte. Diese Beschleunigung wird sich auch durch die Verfügbarkeit von Impfstoffen und die Rückkehr zur Normalität nicht verlangsamen.

Im Büro erfassen wir die Arbeitskultur, indem wir die Augen und Ohren offen halten. Wir brauchen uns zum Beispiel nur kurz umzusehen, um herauszufinden, wann die Kolleg:innen den Arbeitstag beenden. Im dezentralen Team ist das nicht möglich, also müssen die Erwartungen bereits vorab ausformuliert werden.

Zwischen den ersten modularen Büromöbeln von Herman Miller, den Bürowaben und dann dem offenen Großraumbüro liegen Jahrzehnte. Die radikale Neugestaltung des physischen Büros hingegen vollzogen wir innerhalb weniger Monate. 

„Wir erleben eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz von den Arbeitgeber:innen an die Arbeitnehmer:innen“, sagt Groom. „Die meisten Teams werden eine weitaus dezentralere Entscheidungsfindung brauchen, damit die einzelnen Mitglieder die besten Voraussetzungen für das produktive und erfolgreiche Arbeiten erhalten.“

Der Arbeitsplatz der Zukunft ist nicht nur standortunabhängig. Er verteilt sich auf umfassende Netzwerke, die sowohl Homeoffices als auch Büros umfassen. Nicht Gebäude machen ein Unternehmen aus, sondern engagierte Menschen – wo auch immer sie sich befinden.

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